Fusion
Im Handbuch Kirche und Regionalentwicklung heißt es:
Fusionen erfreuen sich auch in kirchlichen Kontexten immer noch ungebrochener (Un-)Beliebtheit und galten lange Zeit als Allheilmittel gegen die zurückgehenden Ressourcen. Kirchengemeinden werden fast täglich zusammengelegt, Dekanate fusionieren zum Teil gleich landeskirchenweit (EKHN), und die Vereinigungen ganzer Landeskirchen (EKBO, EKM, Nordkirche) hat die Landschaft der evangelischen Kirchen in Deutschland erheblich verändert.[1]
Seit Kirche in ländlichen Räumen Mitte der 2000er-Jahre in den Fokus kirchlichen Interesses gerückt ist, hat es eine Vielzahl von Strukturanpassungsprozessen EKD-weit auf allen Ebenen gegeben. Die bedeutendsten Strategien sollen im folgenden kurz vorgestellt und bewertet werden.
1. Definition
Unter Fusion verstehe ich die strukturelle Verschmelzung von zwei oder mehr selbständigen Gemeinden zu einer neuen Gemeinde.
2. Typologie
In der Regel wird die Fusion derart eingeleitet, dass die betroffenen Gemeinden gemeinsame Lösungen selbst erarbeiten müssen. Der Anstoß erfolgt top-down von der Kirchenleitung. Der zeitliche Rahmen ist durch externe Parameter abgesteckt (in Württemberg durch den alle sechs Jahre aufgelegten „PfarrPlan“). Begleitet werden solche Prozesse durch – meist von der Kirche vermittelte – Moderatoren. Zentrale Inhalte der Verhandlungen sind Immobilien-Management, Ressourcenplanung (Personal und Finanzen), Gottesdienstzeiten, neuer Zentral-Ort sowie mögliche Synergien. Begonnen wird die Fusion meist mit Bildung eines gemeinsamen KGR.
Hinzu kommen, als verkomplizierende Größe, die landeskircheneigenen Immobilien-Konzeptionen[2], insbesondere die Verflechtung kirchlicher Arbeit mit staatlichen Häusern (vor allem Pfarrhäusern).[3] Je größer die neue kirchliche Einheit gerät, desto flexibler können Immobilien nach Nutzen und Verkaufsaussichten bewertet werden. Solche Faktoren spielen in Fusionsverhandlungen eine nicht zu unterschätzende Rolle. Allerdings stellt allein das Thema „Pfarrhäuser“ in vielen Fällen eine hidden agenda dar[4], die wirklich zukunftsfähige Lösungen verhindert bzw. lediglich mittelmäßige zulässt. Selbst wenn sich die beteiligten Gemeinden tatsächlich konstruktiv in Fusionsverhandlungen einbringen, können sich die genannten Immobilien-Konzeptionen als unverhandelbar erweisen und den gesamten Fusionsprozess unterminieren. Für die Veräußerung von Kirchengrundstücken ist seit 2004 die inzwischen EKD-weite Immobilienplattform www.kirchengrundstuecke.de aufgesetzt worden.[5]
3. Bewertung
Die wenigen Vorher-Nachher-Vergleiche, die dem ZMIR vorliegen, dämpfen die Hoffnung auf steigende Wirtschaftlichkeit durch Streichung von Unterhaltungskosten. Realiter sind die finalen Einsparungen nach Wegfall überzähliger Häuser kleiner als gedacht, da die Fahrkosten spiegelbildlich dazu steigen.[6] Mir selbst sind zudem Beispiele bekannt, wo Gemeinden und Bezirke zwar augenscheinlich fusioniert haben, jedoch die inneren Abläufe und emotionalen Beziehungen nie folgten. Zu oft wurden freiwillige Fusionen als Alternative zur verordneten vollzogen, Fusionen wurden erkauft oder als Gegenleistung erbracht. Leitungsgremien der oberen und mittleren Ebene gaben Einsparungsdruck an die untergeordnete Ebene weiter, und oftmals mit kurzen Fristen und ohne wirkliche Perspektiven: „Besser, wir handeln jetzt, als dass wir behandelt werden.“[7]
[1] Ebert/Pompe, Handbuch Kirche und Regionalentwicklung, 487.
[2] In der Württembergischen Kirche gibt es beispielsweise das zentrale landeskirchliche Personal- und Immobilien-Konzept SPI.
[3] Zwar ist es betriebswirtschaftlich gesehen klug, bei staatlichen Pfarrhäusern nur die laufenden Kosten statt die komplette Unterhaltung zu zahlen. Allerdings gerieren sich Verhandlungen bezüglich Renovierung und Sanierung gerne zur Hängepartie.
[4] Das muss erklärt werden: Wie erwähnt, lohnt sich die Nutzung staatlicher Immobilien für die Landeskirchen. Eine festgelegte Miete bietet weniger Risiken, als die gesamte Unterhaltung zu zahlen. Steht also eine Gemeinde vor der Wahl, ein staatliches oder kirchliches Haus abzustoßen, wird sich die Kirchenleitung i.d.R. aus wirtschaftlichen Gründen für das kirchliche entscheiden, zumal der Verkaufserlös bei der Kirche verbleibt. – Aus meiner Sicht sollte es zumindest regelmäßig diskutiert werden, ob nicht mehr Unabhängigkeit vom Staat bei Immobiliensachen ebenfalls ein wichtiger Wert an sich darstellt, eine Ablöse vor Ort also anzustreben sei und die Gemeinde somit Herrin im eigenen Haus würde.
[5] Manche mögen das als Ausverkauf sehen. Andererseits kann es eine Chance für Gemeinden sein, sich von immobilisierendem Ballast zu trennen.
[6] Vgl. Lischke, Fusion, 8f.
[7] Aussage in einer Kollegenrunde zur Regionalisierung Ende der 1990er-Jahre.