Regionalisierung
1. Definition
„Unter Regionalisierung verstehen wir Prozesse in Regionen, die im Wesentlichen einer strukturellen Logik folgen und die Anpassung zu groß [und zu klein!] gewordener Strukturen an zurückgehende Ressourcen zum Ziel haben.“[1]
2. Typologie
Die Blaupause für den (Teil-)Zusammenschluss eigenständiger Gemeinden zu einer Gemeinderegion gibt es nicht (mehr). In der Regel werden solche Zusammenlegungen innerhalb eines Kirchenbezirks vollzogen. Die beteiligten Pfarrer bilden eine Dienstgemeinschaft, meist mit jeweiligem Ortsschwerpunkt (parochiale Seelsorge) und einem regionalen Fachbereich (z.B. Jugendarbeit, Erwachsenenbildung).[2] Die Region soll eine neue Ebene zwischen Gemeinden und Kirchenkreis einziehen, die noch nah genug an den Menschen sein und doch Potenziale für Ressourcenschonung und Synergien bieten soll. Wie die Regionalisierung vor Ort umgesetzt wird, wie groß die Regionen ausfallen usw., wird jeweils im Einzelfall festgelegt.[3] Regionalisierung als Mittel, disparate kirchliche (Verwaltungs-)Größen zu egalisieren, ist ein gängiges Motiv für landeskirchenweite Eingriffe in die Gemeindelandschaft. Charakteristisch für Fusion und Regionalisierung ist außerdem das Top-Down-Vorgehen.
3. Bewertung
Fusionen und Regionalisierungen stehen unter hohem Erfolgsdruck. Die Partner sind einander zugewiesen oder aus der Not heraus gesucht. Wie man inzwischen aus dem Change Management weiß, erfordern Veränderungsprozesse dieses Umfangs sehr viel Zeit, damit Vertrauen zwischen den beteiligten Partnern überhaupt erst entstehen kann. Leider mangelt es häufig an derselben. Das Ergebnis ist gesetzt – größere, effektivere Strukturen. Ob a) die zwischengemeindliche Chemie stimmt und sich b) der gewünschte Nutzen am Ende tatsächlich einstellt, ist bis heute weder in Querschnitt- noch in Längsschnitt-Studien oder in größerem Umfang evaluiert worden.[4] Um so stärker verbleibt das negative Bauchgefühl, das sich bei der erdrückenden Mehrheit der Betroffenen eingestellt hat.[5] Nicht zuletzt ist das der Grund dafür, dass vielerorts Regionalisierung zum „verbrannten“ Begriff geworden ist. Dass dennoch seit gut 20 Jahren Gemeinden weiterhin zu diesem Schritt genötigt werden, kann angesichts dessen nur als grob fahrlässig bezeichnet werden.
Positive Beispiele wie das der Kooperation „Nördliches Zeitz“ sind sicher vor allem auf den achtjährigen Vorbereitungsprozess zurückzuführen:[6] „Dies ergibt eine Basis, dass man nun angstfrei darüber nachdenken kann, ob man sich […] rechtlich zu einer Gesamtgröße zusammenschließen könnte […] Als schlimmstes Szenario wird empfunden, selbst wieder fusionieren zu müssen […]“[7] – was angesichts fortgesetzten Mitgliederabbruchs nicht unberechtigt ist.
Im städtischen und großstädtischen Bereich, wo die Menschen a) sowieso an Mobilität gewöhnt sind und b) die Zugehörigkeit zum „Kirchturm“ kein so identitätsstiftender Faktor wie auf dem Land ist, mag Fusion besser zu verkraften sein. Allerdings tendieren auch hier Gesamtgemeinden dazu, immer unpersönlichere Größen abzugeben. Wird nicht – weitergedacht – die zurückhaltende oder gar fehlende Akzeptanz von Regionsgemeinden durch ihre Mitglieder – dazu führen, dass sich Regionalisierungen inflationär entwickeln müssen, also einen immer größeren Raum umfassen müssen, um zukunftsfähig zu sein?!
Man ahnt, dass dieser Trend dazu führt, dass sich kirchliche Gemeinde-Ersatz-Strukturen immer weiter von der Ortsnähe entfernen. Und man ahnt, dass dies zwangsläufig dazu führen muss, dass sich Christen in neuen, gegebenenfalls freien, unabhängigen Initiativen, Kreisen, Gemeinden vor Ort sammeln werden, in deren Augen sich die verfasste Kirche selbst in die Irrelevanz befördert hat. Für einen Gottesdienst, für eine Bibelstunde, fahren die wenigsten Christen 30 km und weiter, wenn doch vor Ort genug Christen dasselbe Anliegen teilen.[8]
[1] Ebert/Pompe, Handbuch Kirche und Regionalentwicklung, 217.
[2] Mehr über Kooperationsformen und Orientierungen s. Ebert/Pompe, Handbuch Kirche und Regionalentwicklung, 451-459 sowie über Voraussetzungen und Vereinbarungen gelungener Kooperationen s. Ebert/Pompe, Kirche und Regionalentwicklung, 460-466.
[3] Zur Frage nach der sinnvollen Größe von administrativen Einheiten vgl. Ebert/Pompe, Handbuch Kirche und Regionalentwicklung, 483ff.
[4] Inwieweit kleinere, von Kirchenbezirken o.ä. finanzierte Erhebungen neutral genug bewerten, darf zumindest hinterfragt werden. Aber selbst die mir vorliegende Evaluation aus Hessen kommt zu dem Ergebnis, dass nicht einmal die erhofften finanziellen Synergien durch eine Fusion erzielt worden seien.
[5] Quelle: Telefongespräch mit Ebert am 1.6.2016.
[6] Hauschildt/Heinemann, Alternative Formen kirchlicher Präsenz in Peripherieräumen (Bonner Studie), 144f.
[7] A.a.O., 145.
[8] All dies sind keine überraschenden Gedanken. Anfang des 20.Jh.s führten unter Otto Raack und Emil Sulze in Berlin ähnliche Verhältnisse zum Konzept der Gemeindebewegung. Vgl. N.N., Wikipedia, Gemeindebewegung sowie Hauschildt/Heinemann, Alternative Formen kirchlicher Präsenz in Peripherieräumen, 163.